Es gibt bis heute keine einheitliche Definition von Hochbegabung, die alle Begabungsaspekte erfasst. Wenn von intellektueller Begabung gesprochen wird, ist die Intelligenz als Zentrum des Könnens und dadurch als messbarer Nachweis intellektueller Fähigkeiten gemeint. Somit ist Hochbegabung als intellektuelles Potential zur Erbringung von Leistungen zu verstehen und nicht als die Leistung selbst. Sie drückt sich in einem IQ-Wert von 130 oder höher aus. Personen, die diesen Grenzwert übersteigen, werden als hochbegabt bezeichnet.
Im Allgemeinen lassen sich drei Bereiche unterscheiden, in denen sich Hinweise auf eine Hochbegabung beobachten lassen. Die aussagekräftigsten Hinweise ergeben sich aus dem Lernen und Denken.
- Hochbegabte Kinder/Jugendliche können sich schnell und dauerhaft Wissen aneignen.
- Hochbegabte Kinder/Jugendliche erkennen, auf welche Problemstellungen ihre Erkenntnisse anwendbar sind und auf welche nicht.
- Hochbegabte Kinder/Jugendliche verfügen über ein überdurchschnittlich gutes Abstraktionsvermögen, ein hohes Detailwissen und sind in der Lage, mit originellen und ungewöhnlichen Ideen, Probleme zu lösen.
Es erfordert den Blick sowohl auf das gesamte Begabungspotential eines Kindes bzw. Jugendlichen wie auch auf einzelne Bereiche, sogenannte Inselbegabungen. Beides kann in Wechselwirkung zueinander stehen, aber eben auch unabhängig voneinander betrachtet werden. In einigen Fällen ist es sogar notwendig, eine bestimmte weitaus überdurchschnittliche Begabung, zum Beispiel eine mathematische Hochbegabung, nicht permanent in Beziehung zu einem entsprechend verbalen Potential zu setzen, sondern das Kind bzw. den Jugendlichen in seinen Stärken zu fordern und in seinen Defiziten zu fördern.
In ihrer sozialen Umwelt ordnen sich Hochbegabte nicht gern unreflektiert Regeln unter, sondern prüfen Meinungen von Autoritäten kritisch. Sie zeigen einen starken Individualismus, übernehmen aber auch Verantwortung. Die Entwicklung eines hochbegabten Kindes erfolgt in der intellektuellen Dimension akzeleriert, in gleicher Geschwindigkeit entwickeln sich nicht zwingend auch andere Bereiche der Persönlichkeit. Somit sind hochbegabte Kinder in erster Linie Kinder und ihre hohe Begabung ist eine ihrer Besonderheiten.
Man spricht von erwartungsgemäßen Schulleistungen bei einer weitgehenden Übereinstimmung von Intelligenz und Schulleistung. Unter Minderleistungen (Underachievement) versteht man eine Leistung, die erheblich hinter der zurück liegt, die erwartet wird. Im Schulunterricht entsteht dann für hochbegabte Kinder und Jugendliche eine Lücke zwischen Leistungsmöglichkeiten und Leistungsanforderungen. Es kommt dann zu Schwierigkeiten in folgenden Bereichen:
- Defizite in Lern- und Arbeitstechniken,
- Defizite in der verhaltensbezogenen Selbstkontrolle,
- Störvariablen, z. B. Prüfungsangst, Leistungsdruck oder Angst.
Man geht davon aus, dass Underachievement nicht an der Oberfläche der Persönlichkeit sitzt, sondern sich tief in ihr verborgen befindet. Demnach sollen die Ursprünge in der Kindheit liegen. Das heißt, schon in der Familie und im Vorschulalter könnte der Grundstein für das Versagen gelegt worden sein, denn die häusliche Umgebung und die Schullaufbahn bedingen einander. In der Grundschule ist das Auftreten der Minderleistung darin begründet, dass sich die hochbegabten Kinder nicht anstrengen müssen und es dadurch zu keinem Aufbau der Leistungsmotivation kommt. Jedoch werden in den weiterführenden Schulen, z. B. dem Gymnasium, Motivation und Anstrengungsbereitschaft vorausgesetzt. Prinzipiell können die Ursachen für schulischen Misserfolg in der Person des Schülers (Persönlichkeitsdispositionen) oder in seiner Umwelt, der Familie und der Schule (die Interaktion von Lehrkraft und Kind sowie die Qualität des Unterrichts) liegen.
Hochbegabte Schulversager bewegen sich in der Schule in einem Teufelskreis von hohem Begabungspotential, nicht erwartungsgemäßen Schulleistungen, herabgesetzter Motivation und verringertem Interesse beim Lernen. Dies bedingt den Verlust an Selbstvertrauen und die Zunahme eines negativen Selbstkonzeptes sowie einer verneinenden Sicht auf sich selbst. Das Fehlen von Selbstbekräftigung erhöht die Gefahr des Versagens in der Schule. Der zunehmende Verlust kann zu Störungen in allen Lern- und Lebensbereichen führen.
Misserfolge während der Schullaufbahn können zu einem geringen Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten führen. Ca. 50 % der Kinder und Jugendlichen sind sich ihrer besonderen Fähigkeiten nicht bewusst. Deshalb neigen sie dazu, ihre Fähigkeiten stark zu unterschätzen. Infolgedessen haben sie geringes Vertrauen in die eigene Handlungskompetenz. Schulische Schwierigkeiten haben nicht nur eine Ursache, sie werden von einer Vielzahl von ineinandergreifenden Faktoren ausgelöst. Als ein möglicher Grund wird die Unterforderung beschrieben. Die Unterforderung in der Schule kann dazu führen, dass jemand seine Leistung verweigert und das Interesse am Engagement völlig verliert. Die schulische Unterforderung kann folgende Probleme nach sich ziehen. Zum einen sinkt das Interesse an schulischen Angeboten, die Lerntechniken entwickeln sich nicht weiter und die Grenzen der eigenen Möglichkeiten können somit nicht erfahren werden. Zum anderen wird Konkurrenz kaum erlebt und Bewältigungsstrategien für Misserfolg und Frustration nicht hinreichend ausgebildet. Weitere Probleme, die bei Unterforderungen auftreten können, sind der Verlust der Motivation im schulischen aber auch im außerschulischen Bereich, auftretende Langeweile bei Routinearbeiten sowie eine Überanpassung, wodurch die eigenen Fähigkeiten des hochbegabten Schülers verborgen werden. Dem gegenüber steht die Entwicklung zum „Klassenkasper“ oder sogar zum stummen Schulverweigerer.
Chronische Unterforderung im Unterricht führt bei hochbegabten Schülern oft zu Verhaltensauffälligkeiten, die nicht als Begabungspotential verstanden werden. Langanhaltende Unterforderung führt zur Störung des seelischen Gleichgewichts des Kindes und mitunter auch zu psychosomatischen Beschwerden. Wobei zu bedenken ist, dass die Störung des seelischen Gleichgewichts sowohl Ursache als auch Folge sein kann. Bezeichnet man also einen Schüler, der im Hinblick auf seine intellektuelle Begabung erwartungswidrig schlechte Schulleistungen erbringt, als Underachiever, geht man davon aus, dass dieser Schüler im Gegensatz zu Achievern sein Begabungspotential aus persönlichkeits-psychologischen und/oder aus sozialen Gründen nicht dementsprechend aktivieren kann. Folgen in der Sekundarstufe sind demnach Leistungsstörungen und Probleme im Lern- und Arbeitsverhalten. Als langfristige Folgen können der Rückzug aus dem sozialen Umfeld und das ungestüme Ausleben der Intelligenz in zerstörerischen Tendenzen genannt werden.
Wenn diese Kinder und Jugendlichen nicht entdeckt werden und ihnen keine Hilfe zukommt, besteht die Gefahr des Versagens in verschiedenen Schulformen. Dies könnte den Besuch einer Sonderschule für Lern- oder Verhaltensgestörte nach sich ziehen. Underachiever können nicht nur während der Schulzeit versagen, sondern es kann sich daraus ein existenzielles Problem entwickeln. Es wäre ein Schritt zur Behebung mancher Probleme begabter Schüler, wenn die Begabung als etwas Normales angesehen werden würde und außergewöhnlichen Fördermaßnahmen durch die Umwelt Akzeptanz fänden.